Inhalt von Nr. 05:
1. Ein Hugo (Huge, Hugke, Huke, Hucke) gründete Hugenworbis
2. Humor und Schabernak beim Schlachtefest im Eichsfeld
3. Planwirtschaft in der Landwirtschaft des Eichsfeldes und Dingelstädt
4. Eichsfelder Schnurren: Minner pfe-ift nur; D’r Gul äß blind; Heste gehört?
5. Häufigkeit Eichsfelder Nachnamen in Orten
6. Berühmte und bekannte Eichsfelder Landsleute. Vorgestellt: Josef Rodenstock und Julius Hackethal
Ein Hugo (Huge, Hugke, Huke, Hucke) gründete Hugenworbis
Bei der letzten Siedlungsperiode im Eichsfelde wurden die Orte, die durch Rodung der großen Waldbestände entstanden, meist nach dem benannt, der die Rodung durchführte oder veranlasste. Das dürfte für die heutige Wüstung Hugenworbis bei Breitenworbis ein Hugo gewesen sein. Die Dorfstelle Hugenworbis lag ziemlich in der Mitte zwischen Breitenworbis und Ascherode, etwa 2 km nordöstlich von Breitenworbis aus gesehen, nicht weit von der mitteralterlichen Harburg entfernt. Die Feldlage heißt heute noch Hugenworbiser Land. Frühere Bezeichnungen waren Sinnborn oder auch Auf dem Kirchhof und boten schon seit längerer Zeit Anlaß für Vemutungen und Sagen. Im Mai 1985 begannen Rettungsgrabungen, da durch den geplanten Bau eines Wasserspeichers für den angrenzenden Molbach die Gefahr der Überschwemmung des überwiegenden Teils der Siedlung bestand. Die archäologischen Untersuchungen zogen sich über mehrere Jahre hin, wobei die Hauptarbeiten 1989 beendet waren.Nach den gefundenen Scherben und einem bronzenen Sichelbruchstück zu urteilen, begann die älteste Besiedlung des Tales in der frühen Eisenzeit. Eine Verbindung zu der nur 1,5km entfernten Wallburg auf dem Kley kann vermutet werden. Die Entstehung des Dorfes wird archäologisch mit wellenverzierter Keramik aus dem 9. bis 10. Jahrhundert nachweisbar. Kugelbodenscherben aus dem 10. bis 11.Jahrhundert und Irdenware aus dem 13. bis 14. Jahrhundert geben Hinweise auf die Ausdehnung und die Dauer der Besiedlung. Da glasierte Keramik aus dem 15. und 16.Jahrhundert nur in sehr geringer Menge gefunden wurde, bestand das Dorf in dieser Zeit wohl nicht mehr in vollem Umfang. Historiker vermuten, daß der ältere Ort im Zusammenhang mit der Harburg gesehen werden muss und nach deren Zerstörung im Jahre 1165 verlassen wurde. Einen Hinweis auf das höhere Alter des Ortes geben zwei Urkunden von 1268, in denen die Herren von Huginworbeze als Zeugen auftreten Urkundliche Erwähnungen des jüngeren Ortes liegen von 1357 und 1358 vor. Im Jahre 1549 werden zwei dem Vorwerk Hugenworbis dienstpflichtige Höfe, der Weiden- und der Polmannshof, erwähnt. Nach alten Lehensbriefen mußte den Herren v. Bültzingslöwen der Tezmann, ein Fruchtzins, geleistet werden. Laut Jurisdictionalbuch von 1675 waren dem Vorwerk Frondienste in Form von Pflug- und Handdiensten zu erbringen. Diese Dienste wurden nach dem Verkauf des Vorwerks zur Reformationszeit in Geld umgemünzt. Ein bäuerlicher Ackerdienst von 4 Tagen Pflügen mit dem Pferd war 1 fl 4 Schneeberger wert. Statt 4 Tagen Handdienst mussten 8 Schneeberger entrichtet werden. Das Vorwerk ging im 17.Jahrhundert ein und die Bewohner zogen nach Breitenworbis. Das Land (das sogenannte Herrenfeld) wurde verkauft und das Amt mit dem zu Worbis vereinigt, wohin auch die Amtsschäferei mit 400 Schafen kam. Mit der Zerstörung von Hugenworbis im Bauernkrieg hängt wohl auch die Sage vom Glockenloch zusammen. In diesem Loch sollen damals die Glocken von Hugenworbis versenkt worden sein. Von den aufrührerischen Bauern ist bekannt, daß sie alles Wertvolle, so auch Glocken, mit nach Mühlhausen schleppten. Ähnliche Sagen finden sich auch an anderen Orten wie z.B.
Niederorschel und Geismar. Oft wird damit eine Sau in Verbindung gebracht, welche die Glocken herausgewühlt hat.
Humor und Schabernak beim Schlachtefest im Eichsfeld
Ein Schwein großfüttern ist eine feine Sache. Noch schöner allerdings ist das Schlachten dieses
Schweines, deshalb spricht man ja vom SchlachteFEST. Das beste am Schlachtefest sind natürlich die frisch zubereiteten Fleisch- und Wurstwaren, aber nicht zuletzt der derbe Spaß, der dabei gemacht wird, der allerdings größtenteils von den anwesenden Männern ausgeht.
Über die Bedeutung des Hausschweines im Leben der eichsfeldischen Landbevölkerung in den
vergangenen Jahrhunderten kann man sich heute nur sehr schwer einen Begriff machen. In einer
Zeit, wo die Armut und das schlechte Essen allzuoft zum Tagewerk der untersten Schichten gehörten, war der Besitz eines Schweines schon ein kleiner Schritt zu einem besseren Leben. Der Besitzer eines Schweines schätzte sich glücklich, denn das Tier versinnbildlichte für ihn Nahrung und Kleidung (Leder), also lebenden Vorrat für kommende Tage. Aus dieser Zeit und dieser Anschauung heraus stammt der Begriff des „Glücksschweines“ und die sehr geläufige Redewendung „Schwein gehabt“, die ausdrücken soll, dass man Glück hatte. Heutigentags ist das Glücksschwein wie der Schornsteinfeger oder das Hufeisen zu einem Talisman geworden, ohne dass der Sinn des Entstehungsgrundes offenkundig wird.
Zwei kleine Sprüche sollen die Verehrung des Hausschweines in diesem Zusammenhang
verdeutlichen:
Wer ohne Sorgen satt will sein der kauf und mäste sich ein Schwein.
oder:
Pfleg und füttere ein Schwein, es bringt dir’s hundertfältig ein
Das Schlachtefest selbst gestaltet sich zu einem Höhepunkt im Leben der Familie. Bekanntlich waren im Eichsfeld die drei wichtigsten Feste des Jahres Weihnachten, Kirmes und das Schlachtefest, welches auch heute noch zu den besonderen Tagen zählt, wenngleich der ökonomische Zwang zur Bereitstellung der Nahrung für die Familie keineswegs geboten ist.
Trotzdem ist es ein Fest, auf welches man sich freut, und bei dem es neben der vielen Arbeit auch
lustig zugehen kann. Die beste Zeit zum Schlachten ist die kalte Jahreszeit, wenn das Schwein von den Früchten der Ernte fettgefüttert im Stall steht und Festtage heranrücken. So lauten zwei alte Sprüche:
Zu Martin,da schlacht der Bur sin Schwien, das muss zu Lichtmeß jefressen sin.
oder:
Zu Martin,da schlacht min Vater en Schwien, die Mutter schlacht ‘ne Gans, und du, du
kriegst‘‚n Schwanz
Ist dann endlich der Tag des Schlachtens gekommen und der Schlachter anwesend, tut es
manchem Hausherrn leid, sein mit viel Liebe aufgezogenes Schweinchen töten zu lassen. Er
wird getröstet mit den Worten:
Willst Du hadern um ein Schwein? Iß die Wurst und lass es sein!
Ist das Schwein geschossen, stellt sich ab und an ein Spaßvogel mit einem Spankorb daneben und
will die Seele des Tieres auffangen. Die Kinder müssen feste am Schwanze ziehen, da sonst, wie
ihnen der Schlachter erklärte, die Würste krumm werden. Natürlich kommt auch der Alkohol in Form
von Kornbranntwein oder Kräuterlikör zu seinem Recht. Um ihn zu bekommen, werden im Verlaufe des Schlachtens einige nette Verse dargeboten:
Steht das Schwein noch im Koben, wird erst einer gehoben.
Kommt es aus dem Koben, wird noch einer gehoben.
Bevor’s Schwein am Haken hängt, wird ein Schnäpschen eingeschenkt.
Ist das Schwein hingehängt,wird wieder einer eingeschänkt
Schließlich ist der Durst gelöscht und mit dem Spruch
Hängt’s Schwein an der Leiter, geht’s fröhlich weiter, wendet man sich wieder der Arbeit zu.
Natürlich soll hier nicht der Eindruck entstehen, dass das Schlachtefest eine Beschäftigung für
Possenreißer ist. Es handelt sich hierbei um eine durchaus ernsthafte und anstrengende
Beschäftigung, denn der Geschmack von Fleisch und Wurst, die einwandfreie Konservierung
desselben in Büchsen und Gläsern hängen von den mithelfenden Personen ab. Wer würde
bestreiten, dass nicht eine große Fertigkeit dazu gehört, die schmackhaften Würste, den kräftigen Schinken, den Speck, das Gepökelte und selbstverständlich die herzhaften Feldgieker herzustellen. Während der Zubereitung der Wurst nun werden Unkundigen oder Gästen die verschiedenen Aufgaben übertragen. So sollen sie z. B.
abholen.
Gelegentlich wird dem Angeführten dann als Wurstmaß ein Nachttopf angedreht und ernsthaft hinzugefügt, dass die Würste genauso rund werden sollen wie der Topf. Ein Vers‘chen sagt esso:
Der Schlachter ist ein Schweinehund, der macht die Wurst im Nachttopf rund.
Wird die Rotwurst in der Molle gemengt, werden die anwesenden Kinder herangerufen um ihnen die Wurst „anzumessen“. Dabei streicht man ihnen das Blut über Wangen und Mund, von einem Ohr zum anderen. Die Anwesenden schmunzeln über die verschmierten Gesichter, aber die Kinder suchen eilig das Weite.Beim Füllen der Rotwurst in die Blasen wird wieder jemand beauftragt, einen Teller oder ein anderes Gefäß zu holen. Der Schlachter lässt die Luft aus der Blase, die zuvor am Fenster zum Trocknen aufgehängt war, auf den Teller und freut sich über das dumme Gesicht des Angeführten. Dieser muss Bemerkungen wie „der hat soviel Verstand im Koppe wie die Ziege Fleisch vor’m Knie“ einstecken.
Sind ein paar Borsten in die Wurst geraten, wird der Hausherr mit folgenden Worten getröstet:
Dafür war’s ein Schwein, wenn Haare in der Wurst wären, dann hätten wir den Hund geschlachtet.
Vergisst der Hausherr den Schnaps, wenn Kesselfleisch gegessen wird, macht man mit den
Worten „fettes Fleisch will schwimmen“ auf die leeren Gläser aufmerksam. Bemerken die Nachbarn dass geschlachtet wird, holen sie sich die reichlich vorhandene Fleisch oder Wurstsuppe. Früher verkleideten sie sich extra als Bettler und sangen oder sagten folgenden
Reim auf:
Me haan gehart, die haat geschlacht,
haat dicke, fette Weste gemacht,
die graßen wolln wir langen
oder:
Ich haa gehart, die haat geschlacht,
haat kleine und graße Weste gemacht,
die graßen gebt ihr mir,
die kleinen behaltet ihr.
Der Bitte wurde entsprochen, und die Besucher gehen mit Wurst- oder Fleischsuppe sowie einigen Kleinigkeiten nach Hause. Der Spaßvogel, der mit einem Füllkorb Wurstsuppe holen will, bekommt als Ersatz Wurst, Kesselfleisch und Gehacktes. Andere verkleideten sich als Kesselflicker. Sie mussten aber schweigen, wenn sie etwas bekommen wollten. Gelegentlich ließ man sie auch tanzen, bis sie als Belohnung eine Schlachtgabe erhielten. Neigte sich der Tag dem Ende zu, rüsteten sich die Gäste zum Heimgang. Dabei bemerkte so mancher nicht, dass er den Schweineschwanz mit einer Sicherheitsnadel an Mantel, Jacke oder Hose angesteckt bekam und zog so gekennzeichnet nach Hause. Jeder bekam noch eine Schlachteschüssel mit Wurst, Gehacktem, Kesselfleisch und anderen Köstlichkeiten mit auf den Weg. Ein witziger Hausherr leuchtete seinen Gästen noch lange mit der Laterne hinterher und begleitete sie noch ein Stück des Weges. Als die Heimwärtsgehenden stutzig wurden, und ihn fragten, warum er das mache, erwiderte er schmunzelnd: „Man wird doch noch seinem Schwein hinterher leuchten dürfen.“ Damit meinte er, dass ein schönes Stück seines Schweines nur noch in den Mägen der Heimkehrenden existierte. Damit sind wir am Abend des Schlachtetages und am Ende unserer kleinen Betrachtung angelangt, deren Aufgabe es war, den Humor im Leben unseres Eichsfeldes einmal am Beispiel des Schlachtefestes darzustellen.
Zu vorstehendem Artikel passt dann auch noch dieser Artikel:
Ungewöhnlicher Diebstahl
Von einem Diebstahl besonderer Art, verübt zu einem recht ungewöhnlichen Zeitpunkt, berichtet das
„Worbiser Kreis-Wochenblatt“ in seiner Ausgabe vom 03. Juni 1837.
Darin heißt es:„Den Gebrüdern Nikolaus und Franz Burchardt zu Kleinbartloff sind am 25. dieses Monats vormittags zwischen 10 bis 11 Uhr, während des Gottesdienstes, aus ihrer mitten im Ort gelegenen Wohnung, folgende Gegenstände entwendet worden:
Indem ich auf diesen Diebstahl aufmerksam mache, werden die Ortsvorgesetzten und Polizeibehörden veranlasst, zur Ermittlung des Diebes und zur Wiederherbeischaffung der gestohlenen Gegenstände möglichst mitzuwirken.
Haynrode, den 29. Mai 1837
Der Königliche Landrath.
v. Bültzingslöwen.“
Die Bodenreform fand 1945 auch im Eichsfeld statt
Zeitung „Das Volk“ vom 05. 09. 1970 (Auszug)
Vor der Bodenreform hatten vier Großgrundbesitzer in Bornhagen 88,8% der landwirtschaftlichen Nutzfläche der Gemeinde in Besitz. 38 Familien in Bornhagen bewirtschafteten die restlichen 11,2 % und mussten davon leben.
Zusätzlich lebten noch in Bornhagen über 100 bettelarme Flüchtlinge und Vertriebene unter den unwürdigsten Bedingungen. In Wahlhausen besaßen die von Hanstein und Freiherr Götz von Minningerode 82,39 % der Ackerfläche und 54 Familien teilten sich den Rest. In Wahlhausen wurde später die erste LPG des Kreises Heiligenstadt gegründet. Mit der Bodenreform wurde das Land der Großgrundbesitzer an landarme Bauern und an Vertriebene (In der DDR nannte man diese „Siedler“, Flüchtlinge und Vertriebene gab es offiziell nicht) aus den ehemaligen Ostgebieten aufgeteilt. Im Kreis Heiligenstadt betraf dies 19 Güter über 100 Hektar mit 3855 ha und im Kreis Worbis 23 Güter mit 6223 ha. Es entstanden so viele kleine bäuerliche Betriebe, welche auf Grund ihrer geringen Größe
wirtschaftlich (vor allem planwirtschaftlich) nicht arbeiten konnten. Deshalb sollten sich die Bauern zu landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) zusammenschließen. Bis 1959 geschah dies mehr oder weniger freiwillig. 1960 setzte auch im Eichsfeld staatlicher Zwang ein und Ende 1960 war das Eichsfeld voll genossenschaftlich durchorganisiert.
Anzahl (Zuwachs) der LPG im Kreis Heiligenstadt: Stand:
Jahr Anzahl der LPG
1952 3
1953 7
1955 5
1956 1
1957 4
1958 28
1959 3
1960 40
Gesamt 93 (100%) 1960 war der Kreis Heiligenstadt voll genossenschaftlich. Die Entwicklung auf dem Dorfe vom „Ich zum Wir“ (Zeitung „Das Volk“) war damit abgeschlossen. Diese LPG’en existieren heute nicht mehr. Sie wurden 1990 zerschlagen und wieder privatisiert. An ihrer Stelle gründeten sich große Agrar-GmbH oder Agrar-Aktiengesellschaften. Das Land wurde (im Gegensatz zur LPG) von den Eigentümern vertraglich gepachtet und es wird Pacht gezahlt. Eine LPG bewirtschaftete die übernommenen Ländereien der Nicht-LPG-Mitglieder ohne Pacht zu zahlen. Die Forderung der Nachkommen der ehemaligen Großgrundbesitzer, die von den Russen verfügte Bodenreform von 1945 wieder rückgängig zu machen, wurde im Einigungsvertrag der BRD/DDR 1990 abgelehnt.
DDR-Planwirtschaft in der Landwirtschaft des Eichsfeldes
Zeitung „Das Volk“ Jahr 1960
Es wurde täglich eine Übersicht über verdiente Genossen, welche sich bei der Planerfüllung
verdient gemacht haben. Diese Veröffentlichungen wurden laufend, auch bei anderen
landwirtschaftlichen Erzeugnissen, gemacht.
Es kam einer öffentlichen Kritik gleich, wenn einzelne Genossen Funktionäre ihren Namen am
Tabellenende als Planschuldner wiederfanden. Parteiverfahren, Absetzungen und Versetzungen
waren dann schon öfter das Ergebnis der Nichterfüllung staatlicher Planvorgaben.
Das Volk vom 14.10.1969
Tafel der Wahrheit (Monat September, Landkreis Heiligenstadt)
In der Milchproduktion wurden folgende Ergebnisse erzielt:
Arenshausen hat demgegenüber einen Planvorlauf von 167 Dezitonnen Milch. Im September sind weitere 34 Dezitonnen Milch als Planübererfüllung dazugekommen.
Anmerkung von H. Hucke:
Von der Zeit um 1956 habe ich von Dingelstädt in Erinnerung, dass unmittelbar neben der damaligen Buswartehalle (Heute Kiosk) Ecke Friedenspark, eine große Tafel aufgestellt war, auf welcher alle Bauern Dingelstädts aufgeführt waren. Eine LPG war in Dingelstädt noch nicht gegründet. Den kleinen privaten bäuerlichen Betrieben war, je nach Betriebsgröße, ein staatliches Abgabesoll für landwirtschaftliche Erzeugnisse vorgegeben. Auf der Tafel war ersichtlich, wie jeder einzelne Hof dieses Plan-Soll erfüllt hatte. Die Zahlen wurden wöchentlich geändert. Vor dieser Tafel standen abends nach der Feldarbeit die Dingelstädter Bauern und diskutierten heftig und lautstark.
Offensichtlich war die Planvorgabe zu hoch, nicht erfüllbar. Oft waren die Zahlen und Namen in der Nacht durch überstreichen unleserlich gemacht worden und mussten wieder erneuert werden.
Eines Tages war die Tafel dann ganz verschwunden. Ob sie von zornigen Bauern mitgenommen - oder staatlicherseits abgebaut wurde, ist mir nicht bekannt.
Da haben die Dingelstädter Lehrer nicht mehr gelacht
Die gleiche Situation wird in den anderen Orten des Eichsfeldes 1958 auch so bestanden haben.
Zeitung „Das Volk“ vom 14.06.1958:
Die Dingelstädter Schulen und die sozialistische Erziehung: (von mir stark gekürzter Auszug)
Im Eichsfeld sind mittelalterliche Methoden noch weit verbreitet. Auch in Dingelstädt gibt es
Genossen Lehrer, die nicht getreu dem Parteistatut in der Öffentlichkeit und zu Hause auftreten. So könnte es von ihnen z.B. in der Zentralschule Dingelstädt nicht geduldet werden, dass Briefe von republikflüchtigen Lehrern im Lehrerkollegium kursieren, ohne dass man sich entschieden dagegen wendet. Es ist in Dingelstädt gewiss schwerer als anderswo im Bezirk, das Neue an den Schulen durchzusetzen, weil viele Menschen - darunter auch Lehrer – mit rückständigen Auffassungen, die der Klassengegner ständig für sich zu nutzen sucht, dieses Neue nicht richtig erkennen und verstehen. Kann man stillschweigend die Entschuldigung eines Lehrers hinnehmen, der zur Demonstration am 01. Mai angeblich gehbehindert, aber zur Fronleichnamsprozession frei von diesen körperlichen Gebrechen ist? Das ist nichts anderes als Opportunismus!
Uns ist bekannt, dass die Schulen in Dingelstädt auch gute Erfolge aufzuweisen haben. Keinesfalls haben wir übersehen, dass alle Lehrer der Mittelschule neuerdings das „Neue Deutschland“ beziehen, daß die Kollegen im Alter von 25 bis 35 Jahren an der Reservistenausbildung teilnehmen wollen und Schüler sich verpflichtet haben, zu Ehren des V. Parteitages das Sportleistungsabzeichen zu erwerben. Das sind Anfänge eines neuen sozialistischen Geistes an den Dingelstädter Schulen, der das gesamte schulische Leben erfüllen wird, wenn man darangeht aus den dargelegten Versäumnissen der Vergangenheit prinzipielle Schlussfolgerungen zu ziehen.
Erwied / Kämmerer
Zeitung „Das Volk“ vom 26.06.1958:
Was in Dingelstädt die polytechnische Erziehung hemmt:
(Stark gekürzter Auszug)
Die Entwicklung der sozialistischen Schule stellt an jeden Lehrer neue hohe Anforderungen. Damit wird die sozialistische Erziehung der Erzieher zu einer bedeutenden Aufgabe. Es geht nicht an, die Einführung der polytechnischen Erziehung nur vom organisatorischen zu betrachten; sie ist vor allem eine politisch-ideologische Notwendigkeit. Um das alles richtig erkennen zu können ist das Studium des historischen und dialektischen Materialismus unumgänglich. Erst wenn der Lehrer selbst von der Notwendigkeit des dialektischen Materialismus überzeugt ist, wird er die Wechselwirkungen der Naturwissenschaften auf die Produktion und umgekehrt erkennen und es den Kindern täglich an Tatsachen beweisen können. Dann wird er auch im Unterricht hierbei noch nicht stehen bleiben, denn die Wechselwirkung vollzieht sich nicht im luftleeren Raum, wird nicht von einem mystischen
Wesen gelenkt. Sie kann sich nur nach objektiven Gesetzen innerhalb der Gesellschaft vollziehen.
Deshalb gehört zur sozialistischen Erziehung unserer Jugend, dass ihr in den Unterrichtsstunden die richtigen Schlussfolgerungen für die gesellschaftlichen Verhältnisse, für den Aufbau des Sozialismus nahegebracht werden.
Hans Kämmerer
Zeitung „Das Volk“ vom 26.06.1958 :
Lehrer bestanden die Prüfung:
In der vergangenen Woche konnten in den Dingelstädter Berufs –und Mittelschulen für den
Ehrendienst in der NVA gewonnen werden:
Berufsschule: von 62 Befragten: 35 Verpflichtungen und Mittelschule: von 15 Befragten: 6 Verpflichtungen. Es darf aber auch nicht übersehen werden, dass fast die Hälfte der befragten Schüler sich nicht bereit erklären konnten, ihren Staat zu verteidigen.
Eichsfelder Schnurren
Minner pfe-ift nur
Agnes un Liesebette stähn im Howe un ungerholen sich. Agnes sinn Franz wärget in d’r Schinnen rimme un pfe-ift sich ins. „Heste schunt gehort, immer wann min Franz arbeitet pfe-ift har“ saet Agnes. „Häst de en Glicke“ spricht Liesebette, „minner pfe-ift nur!“
D’r Gul äß blind
Uff d’r Schossee no Dingelstädt kömmet in d’r Naacht d’r Luntemann Philipp uß Kallmerode met Gul un Wahn angezockelt. Do kämmet aem ’n Schandarm entgäjen: „Holt mol ahn, du fehrst je ohne Liecht!“ Philipp schettelt sin Kopp: „Ich bruche kenn Licht, d’r Gul äß je blind.“
Heste gehört?
Marie un Annkatterliese, 80jährig, schwarhörig, soßen hingerm Ofen. Marie saite: „Heste an schun gehört, se hun Mustbeeren verkäuft.“ „Ha?“ – „Se hun de Mustbeeren verkäuft.“ „Ich kann dich nit verstehn“. – lauter: „Se hun de Mustbeeren verkäuft!“ – „Söö.“ Marie: „Se hun 25 Silbergroschen ferkrächt!“ „Ich kann dich nit versteh“. – noch lauter: „Se hun 25 Silbergroschen ferkrächt!“ “Wo föör dann?“ „Ich sprach de nüscht werr“, krehlte Annkatterliesen.
Häufigkeit Eichsfelder Nachnamen in Orten
Busse in Brehme, Kohl in Bernterode, Aschoff in Hundeshagen. Sogenannte Namensnester sind im Eichsfeld weit verbreitet. Daran dürfte die Religion ihren Anteil haben. 1497 wird im Eichsfeld erstmals der Name Huschenbett erwähnt. Seitdem hat er sich hier ausgebreitet und ist ein typischer für die Region geworden. Woher er stammt, ist freilich unklar. Husch, ins Bett dürfte die volkstümliche Deutung lauten. "In Wahrheit könnte er von den Wortteilen Husse oder Häuser sowie Beten abstammen", entnimmt Heiligenstadts Historiker Wolfgang Friese der Lektüre. "Insofern könnte es auch „Husch, zum Beten“ heißen", scherzt er. Endgültig zu klären ist das wohl nie. Und so ergeht es den meisten Namen. Doch viele lassen sich auch einfach ableiten. "Nachnamen können sich von Vornamen ableiten, von Herkunftsorten (Döring = Thüringer), Stand und Beruf, körperlichen
Eigenheiten (Langbein, Roth, Große) und Satznamen (Trinkuth = Trinkaus, Schluckebier)",
weiß Josef Keppler. Wie die meisten Heimatforscher schlägt er in solchen Dingen bis
heute bei Erhard Müller nach. Der fing 1957 an, seine Forschung an der Leipziger Karl-Marx-Universität zu veröffentlichen. Er schrieb über Familien-, Orts- und Flurnamen. Einem seiner
Bücher von 1948 ist zu entnehmen, welche Zunamen in welchen Orten am häufigsten
auftreten. Daran hat sich, obgleich in DDR-Zeiten frisches Blut ins Eichsfeld floss, nicht viel geändert.
So gab es vor 60 Jahren 89 Noltes in der Region, die meisten in Siemerode und Heiligenstadt. Der Begriff leitet sich vom Vornamen Arnold ab. Die Aschoffs hatten sich allein 17 Mal in Hundeshagen verewigt, die Bachmanns 23 Mal in Kirchworbis und 14 Mal in Beuren. Von 50 Backhauses lebten allein 18 in Heiligenstadt. In Kella traf man 18 Bierschenks, in Westhausen 13 an. Breitenstein ist ein typischer Kallmeröder Name. Wer Busse heißt, kommt bevorzugt aus Brehme. 1949 lebten dort 48 von 65. Zehn von 16 Demuths kommen aus Dingelstädt, 24 von 31 Dettes ebenfalls. 114 Fiedlers listete Müller auf, 28 in Kirchworbis, 18 in Heiligenstadt. Zwölf der 47 Freunds waren
Kreuzebraer, während Fuhlrotts in Leinefelde und Birkungen zu Hause waren. Hackethal steht für Reinholterode und Westhausen, Gabel für Mackenrode, Beck für Dingelstädt, Artmann für Breitenholz, Fromm für Heiligenstadt und Gerbershausen, Grebenstein für Uder und Heiligenstadt, Nachtwey für Hundeshagen, Kefferhausen und Kreuzebra, Pflume (von der Pflaume) für Wüstheuterode, Pfützenreuter für Breitenbach und Worbis, Kohl für Bernterode bei Worbis, Wachtel für Gernrode, Kohlstedt für Gerbershausen und Marth, Kruse für Heuthen. 20 von 36 Gümpels wohnten 1949 in Uder, 37 von 136 Jünemanns in Heuthen, 41 von 202 Kaufholds in Geisleden, 25 von 82 Klingebiels in Heiligenstadt. Was all diese Namen von einem anderen unterscheidet: Sie sind im Eichsfeld häufig, sonst aber selten anzutreffen. Anders verhält es sich mit den Müllers. Sie waren hier
1949 genau 415 Mal vertreten, 83 in Heiligenstadt, 35 in Kirchworbis, 26 in Siemerode und 22 in Dingelstädt. Womit es auch der häufigste Eichsfelder Zuname ist. Woher diese Häufungen?
Josef Keppler erklärt es sich mit dem früheren Wunsch, innerhalb des Dorfes und vor allem
innerhalb der eigenen Religionsgemeinschaft zu ehelichen. "In evangelischen Teilen heiratete man selten ins katholische Eichsfeld, eher nach Hessen", sagt er. "Umgekehrt war es genauso, du wirst doch wohl keine Luthersche heiraten´, sagte man. „Grundlegend änderte sich dies erst nach dem Kriege, mit der Emanzipation der Eheleute. Nicht zuletzt sorgte die Grenzöffnung 1989 für frisches Blut. Zum Glück, denn auf lange Sicht hätte sich die genetische Vielfalt bedrohlich verringert.
Berühmte und bekannte Eichsfelder Landsleute
Josef Rodenstock Optiker
Josef Rodenstock (* 11. April 1846 in Ershausen; † 18. Februar 1932 in Erl) war ein deutscher Industrieller und Begründer des Unternehmens Rodenstock.
Biografie
Im Alter von 14 Jahren begann der Sohn des Händlers und Kaufmanns Georg Rodenstock im Rheinland einen Handel mit Nähnadeln, Knöpfen, selbst gefertigten Barometern, Metalltachometern für Bierwürzen und Brillenfassungen. Sein Vater übernahm von Ershausen aus den Versand, seine Brüder Alois und Michael die Reisetätigkeit. 1877 gründete er in Würzburg zusammen mit seinem Bruder Michael die nach seinem Vater benannte feinmechanische Werkstätte G. Rodenstock. Am 1. Januar 1878 nahm die Firma den Betrieb auf. Das neue Unternehmen verkaufte mathematische, physikalische und optische Geräte, besonders Brillen. Schon vor dieser Zeit hatte Rodenstock seine reflexarmen Diaphragma-Brillengläser und einen Brillen-Anmess-Apparat entwickelt, die entscheidend zum späteren Erfolg seines Unternehmens beitrugen.
1882 eröffnete er eine Filiale in München und verlegte 1883 den Unternehmenssitz dorthin, wo seit 1884 auch produziert wurde. 1898 eröffnete er ein weiteres Werk in Regen. Über Verkaufsstellen in ganz Deutschland und auch im Ausland wurden seine Produkte bekannt und wegen ihrer hohen Qualität geschätzt. Rodenstock, der trotz seines geschäftlichen Erfolges persönlich bescheiden lebte, heiratete 1880 Maria Schmöger und hatte mit ihr drei Söhne und sechs Töchter. Seit 1905 arbeitete sein Sohn Alexander Rodenstock in der Unternehmensleitung mit. 1919 überließ er seinem Sohn die
Unternehmensführung endgültig und zog sich mit einem Vermögen von 3,5 Millionen Goldmark auf sein Landgut bei Kufstein zurück.Josef Rodenstock war der Hof-Optiker des deutschen Kaisers
Auf der Homepage des WDR ist zu lesen:
18. Februar 2007 - Vor 75 Jahren: Optik-Unternehmer Josef Rodenstock gestorben: Ein Mann mit Weitblick
Da hatte der alte Kommerzienrat seine Nachkommen aber gründlich unterschätzt. Fünf
Jahre vor seinem Tod am 18. Februar 1932 schreibt Josef Rodenstock als steinreicher
Ruheständler in seinem Alterssitz bei Kufstein: "Die schreckliche Reue, meine sauer erworbenen Realwerte den Kindern überlassen zu haben, bleibt unbeschreiblich." Doch die Söhne und Enkel strafen ihren Gründer-Vater Lügen. Unter der Führung von Alexander (1905-53), Rolf (1953-90) und Randolf (1990-2004) entwickelt sich Rodenstocks "Optisches Institut" zu einem global operierenden Unternehmen mit 4.300 Mitarbeitern. Der so hart über seine Erben urteilende Pionier musste selbst schon in jungen Jahren zum Familienunterhalt beitragen. Josef Rodenstock wurde 1846 im thüringischen Eichsfeld geboren. Mit 14 Jahren wird Josef von seinem Vater mit anderthalb Talern in der Tasche als Hausierer auf die Reise geschickt. Kreuz und quer zieht der wissbegierige Junge, der viel lieber gelesen und studiert hätte, durch die Lande, verkauft Kurzwaren, selbst gefertigte Barometer und - hin und wieder - auch Brillen. Josef beweist dabei nicht nur großes Kaufmanns-Talent, auch sein persönliches Interesse für die Naturwissenschaften, insbesondere die Optik, setzt sich bald in klingende Münze um. 1877 hat er 30.000 Mark gespart, mit denen er in Würzburg seine erste Werkstatt für Brillen und physikalische Messinstrumente eröffnet. In kürzester Zeit gelingt es Rodenstock, seinen Namen über die Grenzen Deutschlands hinaus als Marke für Präzisionsinstrumente zu etablieren. Zum Grundstein seines Erfolgs wird die patentierte Entwicklung neuartiger, reflektionsarmer "Diaphragma-Brillengläser" und eines Anpassungsgeräts für Brillen.
1883 verlegt Rodenstock den Firmensitz nach München, wo sich bis heute die Unternehmenszentrale befindet. Mit 73 Jahren und einem Vermögen von 3,5 Millionen Goldmark zieht sich der ebenso geachtete wie gefürchtete Patriarch auf sein Kufsteiner Landgut zurück und übergibt - Böses ahnend - die Firmenleitung seinem Sohn Alexander. Über 80 Jahre bleibt das florierende Unternehmen im Familienbesitz. Im Jahr 2003 tritt Randolf Rodenstock von der Geschäftsführung zurück und verkauft seine Anteile nach und nach an einen privaten Investor.
Julius Hackethal
Karl-Heinz Julius Hackethal (* 6. November 1921 in Reinholterode, Kreis Heiligenstadt, heute Eichsfeldkreis; † 17. Oktober 1997 in Bernau am Chiemsee) war ein Chirurg, Befürworter der Sterbehilfe und Autor vieler standeskritischer Bücher. Er warf seinen Ärztekollegen zahlreiche Kunstfehler vor.
Leben
Julius Hackethal wuchs auf dem Bauernhof seiner Eltern auf. Er und seine Geschwister mussten bei der Bewirtschaftung des 75 Hektar großen Anwesens helfen. Seine Mutter wollte, dass er Landarzt wird. Er meldete sich freiwillig zur Wehrmacht. Dies war gegen den Wunsch seiner Eltern, die sich daraufhin über einen Verwandten bemühten, dass er doch noch Medizin studieren würde. Er gelangte hierdurch an die militärärztliche Akademie, wo er ein Gehalt erhielt und die Ränge Fahnenjunker, Feldwebel und später Feldunterarzt bekleidete. Hackethal studierte Medizin in Berlin, Würzburg und Göttingen. Bei Kriegsende war er im 8. Semester. Zu dieser Zeit wohnte er in der Nähe von Göttingen und hörte davon, dass die Universität Göttingen Notapprobationen vergab. Er fuhr unter abenteuerlichen Umständen nach Göttingen und bestach die Sachbearbeiter mit einer Kiste Eckstein-Zigaretten, um das Verfahren noch abzuschließen, bevor die Amerikaner anrückten. Seine Dissertation wurde am 19. Juli 1945 veröffentlicht. Bis 1950 absolvierte er seine chirurgische Ausbildung am Kreiskrankenhaus in Eschwege. 1952 wechselte er an die Orthopädische Universitätsklinik in Münster; 1954 folgte die Habilitation im Fach Orthopädie, 1956 zusätzlich für Chirurgie an der Universität Erlangen-Nürnberg. 1962 wurde er zum außerordentlichen Professor ernannt. 1981 bis 1988 leitete er eine private Krebsklinik am Chiemsee, 1989 gründete er eine eigene Klinik für Ganzheitsmedizin und ausgewählte Chirurgie in Riedering/Spreng.
Er starb im Alter von 75 Jahren an Lungenkrebs.
Beruf:
Erlanger Professorenstreit Er erregte erstmals 1963 Aufsehen, als er in Erlangen dem Klinikchef in der Chirurgie 138 schwere Kunstfehler vorwarf, von denen mehr als die Hälfte tödlich ausgegangen seien. Angesichts der Zustände in Erlangen wollte Hackethal so nicht mehr weiterarbeiten und verweigerte den Gehorsam, worauf er entlassen wurde. Die Auseinandersetzung wurde als „Erlanger Professorenstreit“ öffentlich bekannt. In einem Fall erstattete Hackethal sogar Anzeige wegen Mordes. Alle 138 vermeintlichen Kunstfehler wurden innerhalb kürzester Zeit aufgeklärt. Der Klinikchef erwirkte durch eine einstweilige Verfügung, dass Hackethal die Vorwürfe nicht mehr äußern durfte. Hackethals akademische Karriere war damit beendet. Den bis dahin für seine Publikationen benutzten Autorennamen „Karl Heinz Hackethal“ ersetzte er im folgenden, für seine nunmehr rein populären Werke, durch „Julius Hackethal“. 1965 wurde er Assistenzarzt am Städtischen Krankenhaus Lauenburg und arbeitete sich zum Chefarzt hoch. Bis 1974 blieb er Chefarzt der Chirurgie, ehe er eine eigene Praxis eröffnete.
Sein Buch Auf Messers Schneide machte ihn 1976 einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Darin plädierte er für Behandlungsalternativen, mehr Ethik in der Medizin sowie eine bessere Patient-Arzt-Beziehung. Ein Jahr später folgte das Buch Nachoperation. Er verarbeitete darin seine Erlanger Erfahrungen mit der Krankenhaushierarchie. Durch seine zahlreichen öffentlichen Auftritte und Publikationen wurde er zu einem der bekanntesten und auch umstrittensten Mediziner in Deutschland. Er war Sachverständiger in zahlreichen Prozessen wegen ärztlicher Kunstfehler und griff seine Standeskollegen wiederholt scharf an.
Thesen zur Krebsbehandlung
Seine Thesen zur Krebsbehandlung waren u.a., dass man in der etablierten Medizin eine „Verstümmelungsstrategie“ bei der Krebsbehandlung anwenden würde. Die Art der Operationen und die Anwendung der Chemotherapie würden oft unnötige Schäden verursachen. 1981 fuhr er in die Cleveland-Klinik nach Ohio, um sich über die dortige Krebsbehandlung zu informieren. Danach vertrat er die These, dass man einige Krebsarten besser in Ruhe lasse anstatt sie zu operieren. Er prägte hierfür den Begriff „Haustierkrebs“. Seine Thesen zur Krebsvorsorge und Krebsbehandlung, insbesondere von Prostatakrebs, waren sehr umstritten.
Sterbehilfe
Mitte der 1980er Jahre engagierte sich Hackethal in der Sterbehilfe und für die Deutsche
Gesellschaft für Humanes Sterben. Er setzte sich für aktive Sterbehilfe ein und bekannte, dass er seiner Mutter eine tödliche Spritze gegeben habe. Aufsehen erregte ein von ihm gedrehter Film, der zeigte, wie er einer schwer an Gesichtskrebs erkrankten Frau Zyankali gab. Zu einer Verurteilung kam es nicht, da die Frau den Becher mit dem Gift selbstständig ausgetrunken hatte. Im Laufe seines Wirkens wurden gegen Hackethal zahlreiche Strafverfahren und auch standesrechtliche Verfahren eingeleitet, unter anderem wegen Tötung auf Verlangen, da ihm vorgeworfen wurde, dass er Todkranken aktive Sterbehilfe geleistet habe; er wurde jedoch nie verurteilt. Weiterhin strengte er selbst zahlreiche Verfahren an. Nach eigenen Angaben gab er im Laufe seines Lebens eine halbe Million DM für Gerichtskosten aus.
Oben: Familienwappen in Stein gehauen
Unten: Familienwappen als Bild