Inhalt von Nr. 14:

 

1. Arbeiterdichter Christoph Wieprecht – Sohn eichsfeldischer Eltern

2. Wir gratulieren im Jahr 2013 zu runden und besonderen Geburtstagen

3. Wir gedenken der im Jahr 2012 verstorbenen Verwandten

 

Arbeiterdichter Christoph Wieprecht – Sohn eichsfeldischer Eltern

 

 In der Ahnenreihe des Arbeiterdichters Christoph Wieprecht ist ganz zu Anfang auch Christian Hucke, geb. um 1590 vermutlich im Dingelstädter Zweig der Familie Hucke, welcher 1621 nach Kirchworbis heiratete und dessen Tochter Angela Hucke, welche am 14.01.1647/1648 Hans Siebert in Kirchworbis heiratete, mit aufgeführt.

Quelle: http://www.klaus-wieprecht.de/Stammbaum.html  

Für mich ist dies mit ein Grund, außer seinen beeindruckenden Gedichten, in einem Familien-Mitteilungsblatt das Andenken an den heute vergessenen Arbeiterdichter zu bewahren.

Seine Lebensdaten:

Am 15.10.1875 geboren in Essen als Sohn eines Stahlarbeiters. Die Vorfahren stammen aus dem thüringischen Eichsfeld. Sein Vater Konrad Wieprecht wurde am 29. August 1835 in Hildebrandshausen / Eichsfeld geboren und starb am 22. Oktober 1902 in Essen. Er heiratete Luise Rodenstock am 22. Oktober 1861 in Ershausen / Eichsfeld. Im Kirchenbuch ist er aufgeführt als Ackerknecht und Fabrikarbeiter. Luise Rodenstock wurde am 18. September 1837 in Ershausen geboren. Sie starb am 3. Juli 1903 in Essen. Beide waren katholisch.

1890 – 1927: Nach dem Besuch der Volksschule wurde er Arbeiter in der Friedrich Krupp Aktiengesellschaft in Essen, Anfangs als Abtrittsdesinfektor, dann als Laufbursche, Laborant, Eisendreher, zuletzt als Wohnungsaufseher.

1900: Heirat mit Katharina Burchhardt.  Geburt der Kinder:

• Georg (1901) • Christoph (1908)

• Änne (1909)

 

Um 1910: Beginn der literarischen Tätigkeit mit Industrie-Gedichten wie

·         "Martinwerk",

·         "Bessemerwerk",

·         "In der Geschosspresserei".

 

1916/1918: Erste Veröffentlichungen ("Flammen", "Hammer und Schwert") in der christlichen Gewerkschaftsbewegung nahestehenden Verlagen: Sekretariat Sozialer Studentenarbeit, Volksvereins-Verlag, beide in Mönchengladbach, Mitglied im Christlichen Metallarbeiterverband.

Persönliche Bekanntschaft mit führenden Persönlichkeiten aus der christlichen Gewerkschaftsbewegung: Dr. Carl Sonnenschein, Georg Wieber, Jakob Kaiser, Mathias Föcher, Edmund Weinbrenner, Rudolf Vetter. Seit der Schulzeit befreundet mit dem späteren Staatsminister Dr. Heinrich Hirtsiefer.

Um 1918: Kontakt zu den "Werkleuten auf Haus Nyland" (gegründet von Wilhelm Vershofen, Jakob Kneip, Josef Winckler). Freundschaft mit Heinrich Lersch und Josef Winckler. Veröffentlichungen in der Zeitschrift "Nyland" (1919) Um 1924: Mitarbeit in der von Otto Wohlgemuth gegründeten Schriftstellervereinigung "Ruhrlandkreis". Veröffentlichungen im "Ruhrland [1]Almanach" (1. Jg., 1924)

1924: Erscheint der autobiographische Roman "Nachtgesang" 1927: Pensionierung wegen eines Nervenleidens 1933/1939: Veröffentlichung der Lyrikbände "Im wachsenden Erz" und "Werkgemeinschaft"

Am 24.9.1942: Stirbt Christoph Wieprecht in Essen.

Nach dem Krieg werden in Essen Katernberg und im Dortmunder Norden Straßen nach ihm benannt

"Vorüber ist die arbeitsreiche Nacht" "Christoph Wieprecht war seiner eigenen Aussage zufolge zuerst Kruppianer, dann Arbeiterdichter.

Geboren wurde er am 15. Oktober 1875 auf dem Cronenberg, jener Kruppschen Arbeiterkolonie am Rande der Gussstahlfabrik, die die Leute in Essen-West Kohlenberg nannten. Da wohnten die armen Schlucker.

Seine Eltern waren aus dem katholischen Eichsfeld gekommen. Vater Konrad (1835 bis 1902) schaffte als Hilfsarbeiter in der Kruppschen Federwerkstatt, Luise, die strenggläubige Mutter (1857 bis 1903), besorgte den Haushalt.

Neun Kinder brachte sie zur Welt, von denen nur Christoph überlebte. Doch seine Kindheit ist trostlos. Klein, zart, in sich gekehrt, hat er kaum Freunde in der Kolonie.

In der großen Fabrik nebenan knallen die Hämmer, rasseln die Kräne, glühende Schlacken spritzen, rauchen Fabrikschlote. Sieben Jahre besucht er die Volksschule, wo der Lehrer "gute Preußen" aus den Kindern machen will. Der Junge beginnt den Kohlenberg zu hassen. Die paar Bäume auf den Bleichplätzen vor den Häusern, Rasen, den er nicht betreten darf, das karge Leben zu Hause. Schon frühzeitig beginnt er, sich seinen Kummer von der Seele zu schreiben. Als Zehnjähriger verfasst er sein erstes Gedicht. Das muffige Dahinleben wird ihm immer mehr zur Qual, er will lesen, Neues erfahren, um seelisch atmen zu können. Mit zwölf bestellt er für seine Eltern die Tageszeitung. Bisher hatten sie nie eine besessen. Die häusliche und schulische Ausbildung ist äußerst bescheiden und eröffnet nur magere Wissensquellen.

Mehrere seiner ehemaligen Mitschüler aus bessergestellten Familien - meist Söhne von Werkmeistern - tragen nun bunte Studentenmützen. Sein Wunsch, auch eine Realschule oder das Gymnasium zu besuchen, können die Eltern aus Geldmangel nicht erfüllen.

Als Christoph Wieprecht 1889 die Kruppsche Simultanschule auf dem Kronenberg verlässt, ist er für die Verwirklichung seiner Träume denkbar bescheiden ausgebildet.

 

60 Pfennige Lohn im Bierkeller

Um 1890 steuert die Wirtschaft des II. Kaiserreiches in eine Rezession. Arbeit wird knapp, und der junge Wieprecht ist froh, als er in einem Bierkeller für 60 Pfennige Tageslohn als Flaschenspüler Anstellung findet. Nach vier Tagen ist er seine Arbeit wieder los und beginnt eine Schusterlehre, die er nach rund sieben Monaten, als der Meister ihn zum ersten Mal verprügelt, abbricht.

Schließlich kann er bei Krupp unterkommen, wo er laut Stammrolle am 24. Februar 1891 als "Laufbursche" eintritt. Tatsächlich wird er zuerst - ausgerüstet mit Reiserbesen, Blechkanne und Chlorkalk - die Aborte der Werkbeamten reinigen und desinfizieren. Doch bald wendet sich sein Geschick; Ein Beamter ist auf ihn aufmerksam geworden und fordert ihn als Laborgehilfen an. Von den Kloaken erlöst, arbeitet er zwei Jahre im Chemischen Laboratorium I der Gussstahlfabrik. Als 1893 sein Vater körperlich zusammenbricht und in Folge wieder eine schlechter bezahlte Arbeit als Hilfsarbeiter annehmen muss, wechselt Christoph am 24. April 1893 ins neu erbaute Presswerk; in eine besser bezahlte Stelle als Pressgehilfe.

 

Das erste Gedicht

Die schwere körperliche Arbeit setzt dem jungen Mann zu, aber er ist nun als Haupternährer der kleinen Familie in der Pflicht. Fortan zieht er glühende, zehn Pfund schwere Rohlinge aus dem Ofen, wirft sie dem Kumpel an der Presse zu. Ein Ruck, und unter wirbelndem Graphitstaub und grünlich sprühender Schlacke formt sich das Geschoß. Allmählich lebt sich Christoph ein. Da wird er zum ersten Male zur Nachtschicht eingeteilt. Zwischen Pressen und Feuern stehend, beobachtet er die sinkende Sonne. Als sie nach vielen Stunden wieder aufgeht, scheinen ihm die Lampen und Ofenflammen vor ihrer Schönheit wie schwache Milchstraßengestirne. Ihn erfasst eine "Zaubergewalt", und er schreibt, beobachtet von kopfschüttelnden Kameraden, sein erstes Gedicht: " Presswerk " Vorüber ist die arbeitsreiche Nacht Die durchgeschafft beim trüben Lampenlichte; Ob ich ermüdet bin - was soll´s? Es lacht Der Morgen ja im neuen Sonnenlichte. Alle vorherigen Niederschriften hatte er verbrannt; "Presswerk" nicht. Fein säuberlich bringt er die vier Verse zu Hause mit Tinte in Reinschrift. Seine Eltern staunen und sind gerührt. Für seine Kameraden aber wird er zum Sonderling. Will er sie für seine Verse gewinnen oder ihnen von seinem Lieblingsdichter Schiller erzählen, so lachen sie ihn aus.

Die Fabrik - meint Christoph lakonisch - braucht keine Ästheten, sondern rohe Kraft. Doch er ist zäh. 1899 - inzwischen hat er seine spätere Frau Käthe Burchhardt kennengelernt - zieht er aus dem Haus seiner Eltern. Am 15. Mai 1900 heiratet er, Sohn Georg kommt am 28. Januar 1901 zur Welt. Knapp zwei Jahre später, am 28. November 1902, erscheint in der "Essener Volkszeitung" unter dem Pseudonym W. Christophorus anlässlich des Todes von Friedrich Alfred Krupp, das Gedicht "Dem Menschenfreunde": Laut Hinweis der Redaktion ist der Verfasser ein "Kruppscher Arbeiter aus dem Pressbau".

Die Zeitung verrät ihren Lesern aber nicht den wahren Namen des Autors: Christoph Wieprecht.

1902 stirbt Vater Konrad, ein Jahr später Mutter Luise.

Am 8. Oktober 1904 wird Sohn Christoph geboren, am 6. Oktober 1909 Tochter Anna Katharina (Änne), die sich an ihren "sehr guten Vater, an nette , liebe Eltern", noch heute gern erinnert. Wieprecht muss hart arbeiten, um seine größer gewordene Familie zu ernähren. Trotzdem verliert er sein Ziel nicht aus den Augen: Heraus aus dem Preßwerk! Direkt an seine Arbeitskameraden gewandt, schreibt er: " Grenzpfähle will ich rammen zwischen euch und mir, Und wenn sie bis ans Herz der Erde gehen, Ich bin kein willenloses Herdentier. Laßt mich in Durst und Einsamkeit vergehen Ein Hund bin ich, der an der Kette kreist Doch einmal schlägt die Stunde, da sie reißt . . . " Wieprecht wird bekannt

Seit sich bei Krupp herumgesprochen hat, wer W. Christophorus wirklich ist, wird man auf den kleinen Pressgehilfen aufmerksam. Wieprecht selbst tut ebenfalls alles, um bekannter zu werden. Doch bis zu dem in ganz Deutschland geachteten Arbeitsdichter ist der Weg noch weit. Zeitungen wollen seine Gedichte drucken, allerdings ohne Honorar. Beruflich kann er sich verbessern, wird Fräser in der Lafettenwerkstatt III. Ein Beamter vom Hügel besorgt eine größere Wohnung am Jahnplatz 20. Wieprecht fräst - und schreibt. Er lernt den Journalisten Georg Wieber und Johanna Arntzen, auch den Arbeiterdichter Heinrich Lersch kennen. Sie schätzen seine Arbeit und ebnen ihm die Wege zu Zeitungen und Verlagen. "Werter Kollege!" - schreibt am 8. Oktober 1913 die Redaktion vom "Deutschen Metallarbeiter" in Duisburg - "für Dein Gedicht ,Dein Ziel´, erhältst Du den Betrag von 3 Mark." Mit Hilfe seiner Freunde gelingt es Wieprecht, Beziehungen zu Organisationen der katholischen Arbeiterschaft zu entwickeln, die ihm in den zwanziger Jahren vorzüglich zustatten kommen werden.

Zwei Tage nach Beginn des 1. Weltkrieges, am 3. August 1914, ehrt der katholische Arbeiterverein Essen-Altendorf 25 Jubilare mit der Jubelhymne aus Christoph Wieprechts Festspiel "Silberstrahlen", das bei dieser Gelegenheit zum ersten und letzten Mal aufgeführt wird. Im Mai 1916 begegnete er durch Vermittlung Lerschs in Mönchengladbach dem katholischen Weltapostel und Verleger Dr. Carl Sonnenschein (1876 - 1926). Noch im selben Jahr erscheint in seinem Verlag Wieprechts erstes Gedichtbändchen "Flammen". Durch den Versand signierter Freiexemplare versucht Wieprecht seinen Ruf als Arbeiterdichter zu festigen. Mit Erfolg.

 Am 23. Oktober 1917 fragt das Armee-Oberkommando der Armeeabteilung A am Jahnplatz an, ob es das Gedicht "Im Panzerwalzwerk" in der Feldzeitung "Der Stoßtrupp" veröffentlichen darf; gegen Honorar versteht sich. Der Durchbruch gelingt dem "Sänger der Arbeit" - wie sich Wieprecht zuweilen selbst nennt - mit seinem zweiten Gedichtband "Hammer und Schwert" (40 Seiten), der 1918 erscheint.

Krupp hilft seinem Dichter

Wieprechts gute Vorarbeit in den oberen Etagen seiner Firma, bei den Krupps von Bohlen und Halbach auf dem Hügel und in der Öffentlichkeit zeigt Wirkung. Krupp stellt ihm offensichtlich immer mehr Zeit zur Verfügung, um seiner Passion, dem Schreiben und Dichten nachzugehen, und seine Werke vorzutragen. Und Wieprecht ist Vielschreiber. Es gibt eigentlich nichts, was er nicht beschreibt.

1918 wird Christoph Wieprecht auf allerhöchsten Befehl Seiner Majestät des Königs mit dem Preußischen Verdienstkreuz für Kriegshilfe ausgezeichnet. Und er feiert sein 25jähriges (damals zählen Kruppjahre erst vom 18. Lebensjahr an) bei Krupp. Auf der Feier am 23. Februar 1919 hält "Dreher" Wieprecht die Dankesrede im Namen der Jubilare.

Bertha Krupp von Bohlen und Halbach, der er sein zweites Buch "Hammer und Schwert" zugeeignet hat schreibt ihm: " . . . es sind Weisen, die von Pflicht und Arbeit singen; mögen sie gerade in heutigen Zeiten erhebend und mahnend viele Herzen bewegen." Auch seine künftigen Bücher finden Platz in der Hügel-Bibliothek.

Wenig später beziehen Wieprechts eine neue Wohnung im schönen Alfredsviertel südlich der heutigen Widia (Autobahn A 40). Wieprecht ist jetzt ganz Schriftsteller geworden. Der impulsive Heinrich Lersch nennt ihn einen "verbürgerlichten Proleten". Das neue Leben behagt ihm, dem lebendigen, aber in sich gekehrten Mann mit den großen braunen Augen.

1922 erscheint sein dritter Gedichtband "Erde" im Echo-Verlag, Duisburg. Scheinbar ist Wieprecht am Ziel seiner Träume. Er gewinnt Anschluss an den Bund der Werkleute vom Haus Nyland um Josef Winckler, einem Verleger aus Gelsenkirchen und Verfassers des "Tollen Bomberg", der die "dämonische Schönheit des Industriegebietes" entdeckt und damit eine ganz neue Note in die künstlerische Gestaltung rheinischer Landschaft einbringt. Lokale Prominente, Industrielle, Politiker und Journalisten, in deren Bekanntenkreis man normalerweise vergeblich nach einem Dreher sucht, zählen zu seinen Gönnern. Wieprechts Gedichte werden jahrelang in katholischen Schulbüchern für die 3. und 4. Klasse gedruckt.

Im Zenit seines Schaffens 1924 bringt der Otto Schlinghoff-Verlag in Essen Wieprechts "Nachtgesang" heraus, einen biografieähnlichen Roman, der zu den lesenswerten Beispielen deutscher Arbeiterliteratur gehört. Wieprecht steht im Zenit seines Schaffens. Vortragsreisen, Einladungen, ein umfangreicher Schriftverkehr nehmen ihn, der nach zwölf Jahren in der Radsatzwerkstatt seit 1922 "Kruppscher Wohnungsaufseher" ist, hart in Anspruch. Dennoch schreibt er fast ununterbrochen, doch die Seelentiefe seiner frühen Gedichte fehlt diesen Werken.

1925, wahrscheinlich anlässlich seines 50. Geburtstages, liest er zum ersten Mal im Rundfunk in Köln, viele weitere Lesungen an allen deutschen 5 Rundfunkstationen folgen. Als Wieprecht 1927 im Eigenverlag den Heimatkalender "Die Ruhr" herausbringt, kostet ihn dieser Ausflug in kaufmännische Bereiche wahrscheinlich einen Teil seiner Ersparnisse. Im selben Jahr wird er nach 36 Jahren Krupp, wegen eines Nervenleidens Invalide. Fortan nennt er sich nur noch Schriftsteller. Er ist weiterhin gefragt. Erst die Wirtschaftskrise beendet die Reise- und Vortragskarriere.

Dazu kommt am 14. April 1931 ein Verriss in der vielgelesenen "Weltbühne", die mit einer gewissen Berechtigung die "Arbeiterdichter" als "Nationaldichter der Schwerindustrie" hinstellt. Aus dem politischen Hin und Her jener Jahre versucht sich der alternde Mann herauszuhalten.

Als er am 12. September 1931 doch einer Einladung des SA-Sturmes 208 folgt und aus seinen Werken liest, berichtet anderntags die National-Zeitung: "Die Annahme trifft nicht zu, dieser Mann stände im Lager des Zentrums." In einem ganz gegen seine Gewohnheit schnörkellosen Brief an die NZ verbittet Wieprecht sich derartige Beurteilungen.

Glaubt man seinen zahlreichen Hilferufen, die er in dieser Zeit an Freunde, Bekannte, Politiker und einstige Gönner richtet, ist Schmalhans nun Küchenmeister in der Simsonstraße 10.

1932 erleidet er auch noch einen schweren Verkehrsunfall, der ihn fortan in seiner Bewegung stark behindert. Erst nach der Machtübernahme Hitlers ändert sich Wieprechts Situation. Er, der sich mittlerweile in sein Gärtchen im Mühlbachtal zurückgezogen hat, um den es still geworden ist, wird plötzlich geradezu hofiert. Aber der alte Elan ist dahin.

1935 schreibt er noch ein Gedicht: "Ein Arbeiter an Adolf Hitler", das heute als Zeitdokument seinen Wert besitzt. Spiegelt es doch die Stimmung und Meinung all jener wider, die die Zeiten der Arbeitslosigkeit und der Not zwischen 1921 und 1933 mit Schrecken durchlebt hatten. Wenige Wochen später, am 28. September 1935, steht er Hitler, der anlässlich seines Besuches der Gussstahlfabrik spontan eine Kruppsche Wohnsiedlung sehen will, sogar unversehens gegenüber.

Gustav Krupp von Bohlen und Halbach führt ihn ins Alfredsviertel und zu Christoph Wieprecht, den er als "unseren Arbeiterdichter" vorstellt. Zu seinem 60. Geburtstag ernennt ihn der Kruppsche Bildungsverein, dem er lange Jahre angehörte, zu seinem Ehrenmitglied.

1938 erscheint sein letzter Gedichtband "Werkgemeinschaft". Essener Schüler schreiben ihm, er solle ihnen daraus vorlesen. Als er erscheint, wollen sie nicht glauben, dass dieser nur 155 cm große Mann Schöpfer der "gewaltigen Verse" ist. 1942 - es war Krieg. Die Deutschen hatten im Osten Stalingrad erreicht, in Afrika marschierten Rommels Verbände auf Alexandria zu, im Westen gab´s nichts Neues. Engländer flogen die ersten schweren Luftangriffe auf Essen. Sobald Sirenen heulten, flüchteten auch im Alfredsviertel, der schönen Krupp-Siedlung im Essener Westen, die Menschen entsetzt in Keller und Bunker.

Bis auf Christoph Wieprecht. Der winkte ab und sagte: "Mutter lass man, lang mach ich´s sowieso nicht mehr." Seit er die Ursache seiner ständigen Magenschmerzen kannte, hatte er jeden Lebensmut verloren und wartete apathisch auf seinen Tod.

 Er starb am 24. September 1942.

Vier Tage später wurde Christoph Wieprecht auf dem Ehrenfriedhof unter großer Anteilnahme von Freunden und Verehrern bei den Waldgräbern zur letzten Ruhe gebettet. Auf dem schlichten Grabstein stand: Arbeiterdichter Christoph Wieprecht 1875 - 1942. Die Inschrift wurde später in "Dichter der Arbeit" geändert.

Heute sind Wieprecht und sein Werk vergessen. Die Stadt ehrte ihren einst bekannten Sohn zwar noch nach dem zweiten Weltkrieg, indem sie einer kleinen Straße seinen Namen gab. Heute will sie nichts mehr von ihm wissen. Den Vorschlag, seine Grabstätte nach Ablauf der Ruhefrist zum Ehrengrab zu erklären, lehnte die Verwaltung ab.

Ein Grund mehr sich seiner zu erinnern. Wieprechts Bändchen und Bücher sind mittlerweile bibliophile Kostbarkeiten. Wer heute Christoph Wieprecht lesen möchte, sollte sich dafür Zeit nehmen. Der kleine Kruppianer wird es danken durch seine einzigartige, gereimte und ungereimte Zauberwelt der Worte, die er uns hinterlassen hat." Dieser Artikel wurde von Raimund Lorenz in "Krupp Mitteilungen" Nr. 4/1992, (aus Anlass des 50. Todestages von Christoph Wieprecht) geschrieben.

Quelle:

http://www.klaus-wieprecht.de/lebensdat.html     und http://de.wikipedia.org/wiki/Christoph_Wieprecht  und

http://www.klaus-wieprecht.de/adichtung.html  

Einige Gedichte von Christoph Wieprecht:

 

Der Dichter

Ich bin kein Weltprophet, der breite Wege weist - ,

Ein rufend Suchender in dunklen Tiefen

Bin ich ein Mensch, den sein Geschick zerreißt,

Der Körnlein sammelt, die im Spalte schliefen.

in Schürfer bin ich in der Seelentiefstem Schacht,

Der oft mit blutzerriss´nen wunden Händen

Erschrickt vor seiner eig´nen Seele Wetternacht

Und angstvoll klopft an ihren Kellerwänden.

Dann tropft ein Lichtlein wohl durch schmale Spalten

 Im Augenblick der höchsten Seelennot;

Ich fasse, berge ihn, um zu gestalten,

Umbraust vom wilden Erdenlied - nach Brot.

Auch mich hat einer Mutter Leib geboren

In Schmerz und Freude, die nach Leben schrie;

Ein Vater zeugte mich, der sich verloren

Im Werkgebraus der Erdensynfonie.

Und doch ist meine Seele Weltgesang,

Denn ich bin anders, als die vielen andern;

Ihr seht mich einsam meine Wege wandern

In wildem Schmerz, Im Jubelüberschwang.

Bin morgen längst nicht mehr der Mensch von heute,

Und heute nicht das, was ich gestern war;

 Ich bin der Stunde ewig neue Beute,

Heut´ Wurm und morgen stolzbeschwingter Aar.

Mich reißen Berge, Wälder, weiße Horizonte,

Mich schwingen Silberquellen, Strom und Meer,

Ich trinke Sinn aus Taten um mich her,

Die längst ein ander nicht mehr fassen konnte.

Sie nehmt mich hin. Ich bettle nicht um Gnade;

Traf meine Harfe eure tiefste Brust.

Sang euren Schmerz sie, eure höchste Lust,

Dann forschet nicht nach meinem dunklen Pfade,

Zerknittert nicht der Schönheit zarten Schleier,

Den ich aus Silberlicht und Blüten wob;

Ein Gottesdienst sei meine Seelenfeier,

Die mich und euch vom Staub der Erde hob.

 

Mittag am Fabriktor

Bleich steht er da - doch stolz und hochgereckt,

die braungesetzte Mütze schräg aufs Ohr gedeckt,

den Blusenärmel bis zum Muskel aufgestreift,

indes sein Blick wie suchend in die Ferne schweift.

Dort drüben wogt´s, das Meer von Rauch und Qualm.

 Er saugt die Straßenluft wie Blütenrausch der Alm.

Ein Sommertag. Noch tropft von seiner Stirn der Schweiß,

und seinen Kittel schmückt der Arbeit Edelweiß.

Wer bringt ihm heute wohl die Speise her?

Sein Weib? Sein Kind? Er starrt ins Menschenmeer . . .

Dort schiebt sich´s eilig wie ein Kätzchen durch den Schwarm,

sein Mädel ist´s - ein Täschchen hängt am Arm.

Die schwarzen Augensterne irr´n voraus

vom Haldenhang bis hin zum Elternhaus –

jetzt steht´s beim Vater, schaut beglückt ihm an –

um beide schlingt sich süß ein Zauberbann.

Und nieder beugt er sich, trotz Hitze, Staub und Ruß,

ein Händedruck und dann - ein herz´ger Kuß.

 

Das Kind

Der Himmel trauert schwarz und sternenlos;

Und doch - wir schauen tiefer in die Ferne:

 Am Horizont ein Kranz erwachter Sterne –

Die lächeln auf das Kindlein nackt und bloß.

Das Kindlein, das uns immer neu geboren –

 Es schwebt mit uns durch Zeit und Völker hin;

Was wäre aller Ewigkeiten Sinn,

Ging dieses Kindlein für die Tat verloren!

Und einmal wird kein Kreuzholz mehr errichtet,

Der Myrrthenkelch birgt dann den edlen Wein;

Den trinken wir, wenn ganz die Nacht gelichtet –

Kommt, lasst uns selbst des Kindleins Retter sein!

 

 

Das Kleinste

Du liebes kleines Mädchen du,

Machst mir das Leben leicht.

Zeigt nur ein Wölkchen sich, im Nu

Hast du es fortgescheucht.

Frühmorgens, wenn der junge Tag

Mich ruft zu strenger Pflicht,

Es öfter wohl wie Finkenschlag

Von deinem Bettchen bricht.

Dann plapperst du so lieb, so traut

Und schaffst mir frischen Mut

Durch das, was du im Traum geschaut,

Du herzig junges Blut.

Befreit die Mittagsstunde mich

Vom Tosen der Fabrik,

Dann freue ich mich königlich,

Begegnet mir dein Blick.

Doch abends wird dein Mündchen gar

Zu einem Wunderquell;

Dann strahlt dein kleines Augenpaar

So glückverheißend hell.

Was auch des Tages schwere Last

Mir gab an Harm und Leid,

Vor solchem Lichte schnell verblaßt,

O lieblich-schöne Zeit! Du

Und ob ich auch suche und suche

Und blättre immerzu

In unserm Lebensbuche,

Ich lese immer: Du! Ich lese Du: - und fühle

Wie nahe du mir bist

Wie du im Weltgewühle

Die Stunde nicht vergißt:

Die Stunde, da wir uns schenkten

Im Blütenwunderkranz,

Die Lebensfackel schwenkten

Im jubelnden Maientanz.

Ich lese: Du - und presse

Dich heiß an das wilde Herz;

Du - Du - daß ich dich vergesse?

Nie - nie - auch im tiefsten Schmerz.

Uns hat ja der Schmerz geboren,

Und Schmerz ist unser Glück,

Wir haben im Schmerz uns verloren

Und fanden im Schmerz uns zurück.

Nun mögen die Wogen sich türmen,

Ich höre es klingen: Du!

Ich lausche den brausenden Stürmen,

Darinnen jubelt es: Du!

 

 Nachtrag:

"Der heutige Leser wird einerseits einige Schwierigkeiten mit den Werken Christoph Wieprechts haben, andererseits aber auch von der geistes- und sozialgeschichtlich äußerst wirksamen Position der Werke Christoph Wieprechts gefesselt sein. In seinen Gedichten und der Prosa entsteht ein absolutes Gegenbild zu der gesellschaftlichen Entwicklung die nach 1945 vor sich gegangen ist. Verschwindet in dieser Zeit der Arbeiter ununterscheidbar in der Bevölkerung als ein Arbeitnehmer wie die anderen auch (Angestellte, Beamte etc.), so erscheint im Werk Wieprechts der Arbeiter als Herold des Fortschritts, allerdings mehr des technischen als sozialen, der dem Volk voranschreitet. Dass hier einer schreibt, der die Situation des Arbeiters in Jahrzehnten selber erfahren hat, macht seine Authentizität aus, die aus manchen der Gedichte spricht.

Seit Günter Wallraff sieht man es heute als Aufgabe des Schreibenden an, die Darstellung der Situation abhängig Arbeitender mit sprachlichen Mitteln gesellschaftlich bewusst zu machen, und so zu einer demokratischen Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse beizutragen. Im Gegensatz dazu wird in den Gedichten Christoph Wieprechts nicht nur die Situation des Arbeiters verherrlicht, sondern auch der Arbeitgeber. Und schließlich, in der Zeit des 1. Weltkrieges, wird Wieprecht sogar zum Verherrlicher der Rüstungsindustrie und später sogar der politischen Führer. Wieprecht ist also mit dem geschichtlichen Hintergrund und dem Blick auf die Sozialisation der damals Lebenden zu lesen.

Zum Werk Christoph Wieprechts gehören also auch seine Sichtweisen, Ideologien und seine heute nicht mehr aktuelle Sprache mit dazu.

 

 

Wir gratulieren im Jahr 2013 zu runden und besonderen Geburtstagen:

20 – 30 – 40 – 50 – 60 – 65 und ab 70 Jahre jedes Jahr

 

Rita Hucke, geb. Lutterberg, Dingelstädt 23.01.1953 60 Jahre

Lioba Bachmann, geb. Hucke, Küllstedt 23.03.1937 76 Jahre

Michael Dorn, Erfurt, 06.05.1973 40 Jahre

Hiltrud Hahn, geb. Hucke, Großbartloff 05.06.1929 84 Jahre

Ehrhard Bachmann, Küllstedt 02.07.1937 76 Jahre

Maria Dorn, geb. Hucke, Erfurt 19.07.1953 60 Jahre

Petra Huke, Gronau / Westfalen 19.07.1973 40 Jahre

Peter Huke, Dülmen / Westfalen 21.08.1973 40 Jahre

Robert Albert Hucke, Millstadt, USA 08.09.1942 71 Jahre

Albert Anthony Hucke, Millstadt, USA 27.09.1943 70 Jahre

Irena Hucke, geb. Kampa, Wingerode 10.11.1943 70 Jahre

Gregor (Theo) Hucke, Nairobi, Kenia 10.11.1935 78 Jahre

 

Wir gedenken der im Jahr 2012 verstorbenen Verwandten:

Am 26.09.2012 verstarb Anna Louise (Anneliese) Winter geb. May, Wittingen, im Alter von 91 Jahren. Louise Winter wurde am 02.08.1922 als Tochter des Fabrikanten Theodor May, Hüpstedt, geboren. Ihre Mutter war Louise Sophia May, geb. Hucke, geb. am 05.04.1899 in Dingelstädt als Tochter des Bäckermeister Karl Hucke. Diese verstarb am 28.01.1951.

Die Familie des Fabrikanten Theodor May flüchtete Im Jahr 1955 über die Zonengrenze nach Niedersachsen und siedelte sich in Wittingen beim Schwiegersohn Franz Winter an. Ein Teil des Maschinenparks der Strickerei in Hüpstedt war schon vorher mit Pferdefuhrwerken heimlich nachts über die Grenze geschafft worden.

Die Strickerei in Hüpstedt wurde nach der Flucht enteignet und verstaatlicht. Nach der Wiedervereinigung beider deutscher Staaten wurde diese Enteignung rückgängig gemacht.

Ehemann von Anneliese war der Major a.D. Franz Winter, geb. am 03.02.1917 und verstorben am 13.03.2004 in Wittingen.

Von Franz Winter ist bekannt, dass er Kommandant des besetzten Belgrad gewesen sein soll (Nach Aussage von Hiltrud Hahn).

 

Er entzog sich aus gutem Grund der russischen Gefangenschaft durch Flucht in den Westen und bereitete in Wittingen die neue Existenz der Familie May / Winter vor